Sollte? Hätte? Könnte? Würde? Machen!

„Halbnass gibt's nicht!“, sagt er. Manche Menschen verlieren einige Pfunde, er nimmt 40 Kilo in einem Jahr ab. Manche Menschen wandern ab und mal, er marschiert in zwölf Monaten 1.000 Kilometer. Marcel Lossie, 42, ist ein Mann, der brennt. Für die Altstadt und Arminia. Für den Lokschuppen genauso wie für seine sozialen Projekte. Im Interview erzählt der Ur-Bielefelder, warum er kein Profi-Fussballer wurde – und kein Oberbürgermeister wird.

Die Sehnsucht nach unserer Heimatstadt war zu groß!

Marcel, du musst auch immer gleich übertreiben, oder? Wie hast du es geschafft, in so kurzer Zeit so viel abzunehmen?
Warum sollte ich nur 20 Kilo abnehmen, wenn’s auch 40 sein können?! Abnehmen ist ja nichts weiter als simple Mathematik: Man muss mehr Kalorien verbrennen als man zu sich nimmt. Dafür habe ich meine Ernährung komplett auf links gedreht und sehr viel Sport gemacht.

Einige Kilos davon hast du bestimmt auf deinen Wandertouren verloren. „Niemand erobert den Teutoburger Wald!“ – ist es dein Ziel, den alten Arminia-Schlachtruf zu widerlegen?
Der #TeutoburgerWald ist für mich das Aushängeschild für Bielefeld und die Region. Meine Familie und ich sind 2013 von Asemissen nach Gadderbaum gezogen, nur einen Steinwurf vom Waldrand entfernt. Seit dieser Zeit wurde meine Leidenschaft für den Teuto immer größer. Ich bin hier oft unterwegs. Alleine, mit meiner Familie, mit Freunden, sogar mit Geschäftspartnern. Da kommen dann schnell 1.000 Kilometer zusammen.

Moment mal, haben wir dich gerade richtig verstanden? Du hast mal außerhalb Bielefelds gelebt? 
Ja, aber nicht lange – und auch nur 50 Meter vom Bielefelder Ortseingangsschild entfernt. Das ging also so gerade noch (lacht)! Außerdem sind wir schnell wieder zurückgekommen. Die Sehnsucht nach unserer Heimatstadt war zu groß!

Die Verbundenheit zu Bielefeld zieht sich durch eure Familiengeschichte. Schon dein Urgroßonkel Erich Lossie war als Bildhauer beim Aufbau des Leineweber-Denkmals beteiligt. Du selbst bist über dem Reformhaus deiner Großeltern aufgewachsen, inmitten der Bielefelder Altstadt.
Das mag heute zwar komisch klingen, aber die Altstadt war unser Spielplatz. Mit meinem ersten Lederball habe ich auch gleich die Fensterscheibe von Klötzer kaputt geschossen. Anschließend durfte ich nur noch mit einem Softball kicken. Ich bin überzeugt: Das, und nur das, hat meine Profi-Karriere verhindert (lacht).

Was macht denn für einen Bielefelder Jung wie dich den besonderen Charme der Stadt aus?
Bielefeld ist für mich die perfekte Mischung aus Klein- und Großstadt. Alles ist sehr überschaubar, familiär und jeder kennt jeden über ein oder zwei Ecken. Du kommst innerhalb von zehn Minuten aus der Stadtmitte in den Teutoburger Wald. Auch das Hermannsdenkmal und die Externsteine liegen direkt vor der Haustür. Und ganz ehrlich: Was gibt es Schöneres, als mit den Kindern einen Ausflug in den Tierpark Olderdissen zu machen?! Das Kultur- und Freizeitangebot in Bielefeld ist riesig!

Zusammen mit deinen Partnern Sascha Berg und Daniel Elsner belebst du auch die Bielefelder Veranstaltungsszene. Wie läuft's denn mit dem Lokschuppen?
Es war die absolut richtige Entscheidung, den Lokschuppen zu betreiben! All die Mühen und Investitionen haben sich gelohnt. Klar, zu Beginn haben wir auch viel Lehrgeld zahlen müssen. Inzwischen ist die Auslastung sehr hoch: 2020 dürfen wir hier mehr als 300 Veranstaltungen ausrichten: Konzerte, Betriebs- oder Weihnachtsfeiern, Seminare und Disco-Events, um einige Beispiele zu nennen. Über das sehr facettenreiche Programm versuchen wir, so viele Zielgruppen wie möglich anzusprechen, was sehr gut angenommen wird.

Du meintest, ihr musstet Lehrgeld zahlen. Worin lagen die besonderen Herausforderungen?
Na ja, wir blicken zwar mit unserer Event-Agentur fast4ward auf 20 Jahre Erfahrung im Veranstaltungsbereich zurück, eine derart große Location mit einer solchen Veranstaltungsfrequenz zu betreiben, war aber auch für uns neu. Der organisatorische und bürokratische Aufwand ist schon eine echte Hausnummer. Ein großer Dank gebührt unseren Partnern und unserem gesamten Team – ohne deren Hilfe hätten wir dieses Projekt nicht so erfolgreich stemmen können.

Im Lokschuppen wandert sicher auch der ein oder andere Gin Lossie und Rübe Vodka über die Theke. Wie bist du eigentlich auf diese unternehmerische „Schnapsidee“ gekommen?
Ich kannte Wacholderbeeren schon als Kind, damals noch als Gewürz im Sauerkrautfass aus dem Reformhaus meiner Großeltern. Als ich älter wurde, wuchs meine Begeisterung für Spirituosen und Cocktails, vor allem für Gin. Eines Tages kam mir die Idee, den Ostwestfalen ein Heimatgetränk zu kredenzen, das der Wacholdertradition eine moderne Note verpasst.

Du musstest dafür aber nicht extra lernen, Schnaps zu brennen?
Nein, ich habe zwar eineinhalb Jahre an der richtigen Rezeptur mitgefeilt, die Umsetzung aber erfolgte zusammen mit dem ostwestfälischen Traditionsunternehmen Kisker in Halle. Mittlerweile umfasst unsere Produktpalette sechs verschiedene Ginsorten sowie den Rübe Vodka und Rübe Likör. Selbstverständlich schenken wir diese Produkte gerne im Rahmen unserer Veranstaltungen von fast4ward oder im Lokschuppen aus. 

Deine Arbeit für fast4ward eröffnet dir offenbar viele Möglichkeiten.
Wir sind ein bisschen stolz darauf, wie sich fast4ward in den letzten 20 Jahren entwickelt hat. Der Event-Bereich startete damals mit mobilen Cocktailbars, die Kunden bei uns für ihre Veranstaltungen buchen konnten. Heute sind wir zusammen mit fast4ward und der Schwestergesellschaft Lokschuppen Event GmbH etwa 35 feste Beschäftigte und circa 300 Aushilfen.

Mobile Cocktailbars kommen ja auch für „Fruchtalarm“ zum Einsatz. Was hat es mit dem Projekt auf sich?
„Fruchtalarm“ ist ein spendenfinanziertes Kinderkrebsprojekt, das ich 2010 ins Leben gerufen habe und seitdem ehrenamtlich begleite. Inzwischen ist „Fruchtalarm“ ein Teil der #Von-Laer-Stiftung und das größte spendenfinanzierte klinikübergreifende Projekt in Deutschland mit jährlich über 1.700 Einsätzen. Einmal wöchentlich rollt dabei eine mobile Kindercocktailbar über die Flure von aktuell 31 Kinderkrebsstationen. Aus verschiedenen Säften, Nektaren und Sirupsorten mixen die Kinder dann ihre eigenen Fruchtcocktails.

Wieso ist das so wichtig für die Kinder?
Ziel ist es vor allem, die schwer erkrankten Kinder zu aktivieren und zu motivieren, etwas zu trinken. Durch die Chemotherapie verändern sich alle Sinne der Kinder, be-sonders ihr Geschmacks- und Geruchssinn. Deshalb lehnen sie es auch häufig ab, Nahrung und Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Das weiß ich aus persönlicher Erfahrung: 2010 haben meine Familie und ich viel Zeit auf der onkologischen Station in der Kinderklinik Bielefeld-Bethel verbracht.

Warum wart ihr so häufig auf der Kinderkrebsstation?
Unser Sohn ist damals an Krebs erkrankt und 2011 verstorben. Das war eine schlimme Zeit, durch die wir als Familie gehen mussten. Täglich zu sehen, wie die Kinder leiden und gegen diese schreckliche Krankheit kämpfen, hat uns nachhaltig geprägt. Damit die Kinder wenigstens für ein paar Stunden den Krebs vergessen können, fassten wir den Entschluss, selbst aktiv zu werden – und so kam die Idee für „Fruchtalarm“. Es drängt die Krankheit für einen Moment zurück und schenkt den Kindern Energie und Lebensfreude im oft tristen Klinik-Alltag. 

Das schönste Feedback ist das Lächeln der Kinder!

Ist es nicht schwer für euch, durch „Fruchtalarm“ ständig an das Schicksal eures Sohnes erinnert zu werden?
Meine Familie und ich empfinden es als den besten Weg, damit umzugehen. Gerade die persönlichen Erfahrungen machen „Fruchtalarm“ zu einem ganz besonderen Herzensprojekt für uns. Es hat geholfen, wieder nach vorne zu blicken – und unseren persönlichen Schicksalsschlag zum Teil in etwas Positives zu münzen. Das schönste Feedback ist das Lächeln der Kinder!

Eventmanager. Gin-Destillateur. Ehrenamtlicher Geschäftsführer von „​​​​​​​Fruchtalarm“​​​​​​​. Auch im Rotary-Club Bielefeld-Waldhof engagierst du dich. Haben wir irgendetwas vergessen?
Na ja, wenn du schon so fragst ... Unser ehemaliger Azubi Moritz Waltke und ich haben eine exklusive Mufflon-Kollektion aufgelegt, mit der wir die Aufforstung insbesondere des Bielefelder Waldes unterstützen möchten. Auch als Gründungsmitglied des Bielewald e. V. möchte ich aktiv dazu beitragen. Moritz war 2002 übrigens der erste Azubi für Veranstaltungstechnik in NRW und ist heute Mitinhaber der Textildruck Stickerei Bielefeld. Ansonsten gehöre ich der Wandergruppe „Team Fallobst“ an und ab und zu singe ich im etwas anderen Shanty-Chor „Shantallica“, auch wenn ich nicht wirklich singen kann ...

Wie schaffst du es, das alles unter einen Hut zu bringen?
Alle meine beruflichen und sozialen Aktivitäten haben sich mehr oder weniger natürlich ergeben. Aus einem Projekt entstand das nächste, dann das nächste, und so weiter. Und wenn ich was mache, mache ich es eben richtig! Ohne den Rückhalt meiner Familie wäre das aber nicht möglich. Ich bin froh, dass meine Frau und unsere drei Kinder das alles mitmachen. Und natürlich wäre mein soziales Engagement ohne die Unterstützung aus der Firma in diesem Umfang auch nicht möglich.

Auf was kann sich deine Familie denn noch so freuen? Wäre das Bürgermeisteramt nichts für dich?
Höchstens das Oberbürgermeisteramt (lacht). Nein, Spaß beiseite, das kommt für mich nicht infrage, dafür bin ich viel zu emotional. Grau gilt ja als Farbe des Ausgleichs. In meinem Farbspektrum aber taucht Grau noch nicht auf. Die Milde, die für ein politisches Amt nötig wäre, geht mir also leider ab. Aber vielleicht kommt die ja mit dem Alter ...


Das Bielefeld-Bein

Bielefeld geht unter die Haut: Als Zeichen der Verbundenheit hat sich Marcel Lossie verschiedene Wahrzeichen seiner Heimatstadt tätowieren lassen. So haben es sich inzwischen das Leineweber-Denkmal, die Altstadt, die Sparrenburg mit der Statue des Großen Kurfürsten sowie das Rathaus bequem gemacht auf dem lossieschen linken Bein.


Okay, die Kandidatur zum Oberbürgermeister verschieben wir also erstmal. Dem einfachen Bürger Marcel Lossie fallen aber sicher einige Dinge ein, die er in Bielefeld verbessern würde, oder?
Na ja, das Verkehrskonzept halte ich für fragwürdig. Um die Verkehrswende zu fördern, wäre zum Beispiel die kostenlose ÖPNV-Nutzung für alle Kinder und Jugendlichen ein sinnvoller Schritt. Auch der lokale Einzelhandel müsste stärker gefördert werden. Sonst verliert die Innenstadt ihren Charme, weil die Geschäftswelt bald nur noch aus Filialisten besteht. 

Wann findest du eigentlich die Zeit, dir darüber Gedanken zu machen? Anders gefragt, kannst du auch mal nichts tun – und beim Nichtstun wirklich nichts tun?
Hm, also ich bin ganz sicher kein Couch-Potato, der gerne stundenlang vorm Fernseher herumlümmelt. Dann werde ich schnell unruhig. Auch meine Ausgleiche zum Alltag stehen deswegen immer in Verbindung mit Aktivitäten. Am besten entspannen und nachdenken kann ich beim Wandern. Wir trainieren übrigens schon für den Hermannslauf!

Wer sind „wir“?
„Wir“ sind das #TeamFallobst mit mehr als 30 Mitwanderern. Für jeden Kilometer, den wir auf dem Hermannslauf zurücklegen, aktivieren wir Spender, die pro Kilometer einen Euro an „Fruchtalarm“ spenden. In den letzten sechs Jahren haben wir so mehr als 100.000 Euro erwandert.

Das heißt, du knackst deinen persönlichen 1.000-Kilometer-Rekord?
Die wandere ich jedes Jahr im Teutoburger Wald. Ganz oder gar nicht! Halbnass gibt’s für mich nicht (lacht)!

#TeutoburgerWald
Gestern noch ein Schlachtfeld, heute beliebtes Wandergebiet: Der Teutoburger Wald bietet eine breite Palette an Kultur- und Naturerlebnissen. Zu den bekanntesten Zielen zählen das Kloster Corvey, die Hünenburg und das Hermannsdenkmal.

www.teutoburgerwald.de

#Von-Laer-Stiftung
Tradition. Innovation. Qualität. Diesen Werten verschreibt sich die Van-Laer-Stiftung. Als gemeinnützige Trägerin zahlreicher Einrichtungen der Jugendhilfe betreibt sie Kitas und Wohngruppen für Kinder und Jugendliche. Außerdem bietet die Stiftung sozial- und heilpädagogische Hilfen zur Erziehung und vielfältige Freizeitmöglichkeiten.

www.von-laer-stiftung.de

#TeamFallobst
Wandern und Laufen für den guten Zweck: Seit 2014 geht das Team Fallobst beim Hermannslauf an seine körperlichen Grenzen – und sammelt dabei Spenden für das Projekt „Fruchtalarm“. Eingeladen sind alle Männer, die Lust auf Sport und die gute Sache haben.

› www.facebook.com/teamfallobst

16. Januar 2020
Dennis Salge

RubrikLeute, Leute
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