Radrennfahrerin Mieke Kröger

„Im Rennen werde ich zum Schwein“

JUNIOREN-WELTMEISTERIN IN DER EINZELVERFOLGUNG 2011, EUROPAMEISTERIN BEI DER U23-EM 2015, DEUTSCHE STRASSENMEISTERIN 2016, TEILNEHMERIN DER OLYMPISCHEN SPIELE 2016 IN RIO DE JANEIRO: DIE BIELEFELDER PROFI-RADSPORTLERIN MIEKE KRÖGER HAT MIT IHREN ZARTEN 23 JAHREN SCHON EINIGES ERREICHT. WENN SIE NICHT MIT IHREM RAD UNTERWEGS IST, STUDIERT MIEKE IN BONN ODER TRIFFT FREUNDE IN IHRER HEIMAT. GEFEIERT WIRD ABER NUR IN DER WINTERPAUSE.

Mieke Kröger

Mieke – andere Mädchen im Teenageralter reiten gerne auf Pferden, du hast dich mit 15 Jahren aufs Rennrad geschwungen. Wie kam‘s?
Mieke Kröger: Die Antwort weiß ich eigentlich nicht. Ich war früher mal bei einem Hobbyrennen meines Heimatvereins in Bielefeld-Senne. Da wusste ich schon: Da will ich mal mitmachen. Ich habe sogar gesagt, dass ich die schlagen kann. Ich hatte einfach das Gespür, Radfahren könnte etwas für mich werden.

Und dann hast du dir gleich am nächsten Tag ein Rennrad gekauft?
So ähnlich. Ich habe meiner Mutter dann verkündet: „Ich brauche ein Rennrad.“ Sie meinte damals, ich sollte erst mal beim Verein hier anfragen und eine Probestunde nehmen. Im Dezember 2008 habe ich mir dann mein erstes Rennrad gekauft: für 120 Euro – inklusive Schuhe. Richtig los ging’s erst im Frühjahr 2009. Da bin ich dann die ganzen Vereinsausfahrten mitgefahren. Da war ich total stolz, dass ich das erste Mal 76 Kilometer gefahren bin – halb verhungert.

Klingt nach Plackerei. Trotzdem bist du ziemlich schnell bei Rennen an den Start gegangen. War der Wunsch, dich zu quälen, so groß?
Das stimmt. Ich habe viel gelitten am Anfang. Ich hatte nie die Intention, Rennen zu fahren. Das ging von meinem Verein #RVTeutoburgBrackwede aus. Die haben mich irgendwann gefragt, ob ich’s nicht mal versuchen wolle. Dann bin ich mein erstes Rennen gefahren und hab’s gleich gewonnen.

Seit acht Jahren nimmst du die Strapazen immer wieder auf dich. Was fasziniert dich so sehr an dem Sport?
Es ist die Zufriedenheit nach dem Radfahren. Dieses Gefühl ist all das wert. Ich habe aber auch immer viel Lob bekommen. Dann macht das Fahren natürlich noch mehr Spaß.

Sechs Tage die Woche strampelst du Kilometer für Kilometer. Im letzten Jahr waren es insgesamt knapp 18.000: Du trainierst, bis die Muskeln und Knochen schmerzen. Triffst du da nie den inneren Schweinehund?
Doch, doch! Ich muss mich immer wieder mal zusammenreißen. Aber insgesamt fällt es mir im Sport leichter den inneren Schweinehund zu besiegen, als bei anderen Dingen. Ich bin es einfach schon so gewohnt, mich zu überwinden und an meine Grenzen zu gehen. Aber natürlich hat man auch Tage, an denen man überhaupt keinen Bock aufs Radfahren hat. Es ist unglaublich schwer, gegen sich selbst zu kämpfen.

Wenn du immer so viel Rad fährst, tut dir da nicht irgendwann der Hintern weh?
Ja, das tut er! Es gibt die tollsten Hosen, die tollsten Sitzleder, die tollsten Sättel – irgendwann wird es immer unbequem. Aber man versucht dann trotzdem das Optimum rauszuholen. Es gibt leider kein Heilmittel gegen einen schmerzenden Hintern. Ich vermeide dann immer, in meiner freien Zeit enge Hosen anzuziehen.

Gibt’s dich dann zuhause immer nur im Schlabberlook?
Ja, ich zieh übelst gerne Jogginghosen an. Ich mag das total, ist einfach megabequem.

Es ist unglaublich schwer, gegen sich selbst zu kämpfen.

Und dann ist Feierabend? Oder gehst du nach langen Trainingstagen noch raus, Leute treffen?
Ich bleib meistens zuhause. Es ist schwer zu beschreiben, dieses Gefühl in den Beinen: Man ist dann einfach nur schlapp. Wenn die Waschmaschine zum Beispiel im Keller steht, überlegt man sich nach dem Training schon zweimal, ob man da noch runtergeht – wegen der Treppen. Wenn ich abends in die Stadt gehe, kann ich das auch einfach nicht so genießen, weil ich immer den Sport im Hinterkopf habe. Als Sportler ist man nicht nur Sportler, wenn man trainiert. Man ist die ganze Zeit Sportler..

Wie ist das denn im Winter? Lässt du da wenigstens mal Fünfe gerade sein und haust bei Gänsebraten und Stollen rein?
Nein, da wird auch fleißig geradelt – allerdings in der Sonne. Im Dezember sind wir fast zwei Wochen mit dem Team im Trainingslager auf Malle gewesen, im Januar ging’s dann nach Australien, später nach Italien. Da gab’s dann auch den einen oder anderen Gelato Ride, also eine Tour inklusive Eisstopp. In Bielefeld kann man auch super Eisessen. Ich gehe gerne zu #GiovanniL. Da habe ich mich sogar mal direkt nach einer Tour noch mit einer Freundin zum Eis essen getroffen. Von Dresden aus ging’s dann also fast direkt in die Eisdiele in der Arndtstraße.

Gibt es keine Saisonpausen, in denen du dich einfach mal gehen lassen kannst?
Doch, wenn ich darf, geh ich in der Winterpause schon feiern – und dann lass ich auch die Sau raus. Ich zappel gerne auf der Tanzfläche rum, hab einfach meinen Spaß. Diese Auszeit nutz ich dann auch richtig aus.

Fühlst du dich in deinem Leben eigentlich eingeschränkt?
Natürlich bringe ich Opfer. Aber ich fange eigentlich immer mit dem Positiven an. Ich habe so echt ein schönes Leben. Ich erleb viel, komm viel rum. Ich lerne sehr viele Menschen kennen. Und ich mache das, was ich liebe: fahr‘ Fahrrad. Andererseits bin ich aber auch nicht flexibel, weil ich halt meine Renntage habe und auch immer mein Training einbauen muss. Das heißt zum Beispiel: Ich kann nicht auf Geburtstagspartys gehen, weil ich unterwegs bin. Ich kann auch nicht immer essen, was ich will. Es ist einfach ein anderes Leben.

Die Olympischen Spiele 2016 waren doch sicher ein Highlight für dich, oder?
Definitiv! Es war irgendwie verrückt. Es fängt schon mit der Einkleidung an. Dann ist man da in einer Kaserne in Hannover und man bekommt einen riesigen Koffer, in dem noch weitere Koffer und Taschen sind. Danach kriegt jeder einen Einkaufswagen in die Hand gedrückt und tingelt die ganze Einkleidungsstation ab.

Was war dein coolstes Erlebnis in Rio?
Dort war‘s einfach insgesamt toll. Ich war irgendwie die ganze Zeit happy. Man bekommt am Anfang seine Akkreditierung und ein paar Deutschland-Pins vom DOSB, und die kann man dann tauschen. Das war wirklich mein Highlight: Meine ganze Akkreditierung ist voller Pins der anderen Nationen.

Ich mache das, was ich liebe: fahr’ Fahrrad.

Es war ja schon ein krasses Gefühl, die Eröffnungsfeier im TV zu sehen. So aufgedreht wie du jetzt noch wirkst, muss das letztes Jahr für dich doch der pure Wahnsinn gewesen sein!?
Das stimmt, ich krieg jetzt noch Gänsehaut. Wir hatten Glück, mit „Alemanha“ sind wir relativ weit vorne eingelaufen. Und dann, als wir im Tunnel zum Stadion standen, hat plötzlich einer die Nationalhymne angestimmt und alle haben mitgesungen: Das war so schön. Ein bisschen Patriotismus muss ja auch sein.

Du bist ständig unterwegs, arbeitest mit Menschen aus den verschiedensten Ländern zusammen. Wo fühlst du dich zuhause? Gibt es überhaupt noch diesen einen Ort für dich?
Den gibt es definitiv noch – und das ist auch wichtig für mich. Es ist immer schön, nach Hause zu kommen: nach Hause-Hause – und das ist hier in Bielefeld-Senne. Aber mittlerweile ist es auch so, dass ich Hummeln im Hintern kriege, wenn ich zwei Wochen an einem Ort bin. Ich muss dann immer irgendwann wieder losziehen.

Dann schwingst du dich zur Abwechslung bestimmt auch in Bielefeld auf dein Rad. Hast du hier eine Lieblingsstrecke?
Ich fahr immer raus zu den Feldern, wo wenig Verkehr ist. Mit dem Verein sind wir da immer gefahren, deshalb kenn ich mich dort einfach auch besser aus. Früher habe ich für die Runde 2:10 Stunden gebracht, heute nur noch 1:50. Manchmal fahr ich aber auch in den Teuto­burger Wald, bin nur einfach kein geborener Bergfloh.

Gibt’s eine Location, die du jedes Mal besuchst, wenn du in der Heimat bist?
Wenn ich in Bielefeld bin, treffe ich mich gerne mit meinen Freunden. Wir gehen dann oft in Cafés. Im Kachelhaus find ich es zum Beispiel echt nett. Ich mag das mit den vielen verschiedenen Stühlen und auch die schöne Atmosphäre. Ich mag Bielefeld einfach: die Stadt, die jeder kennt, in der aber keiner je gewesen ist.

Bielefeld mag dich auch. Die #GesamtSchuleQuelle, in der du die Schulbank gedrückt hast, hat dir ein Denkmal errichtet: Was hat es mit dem goldenen Fahrradständer auf sich?
Ich bin ja 2011 Junioren-Weltmeisterin in der Einerverfolgung geworden – und um meine Leistung zu würdigen, hat man mir einen goldenen Fahrradständer verliehen. Sogar mit einer Platte drunter: Mieke Kröger, Bahnradfahrerin. Der ist sogar immer noch da. Und jedes Mal, wenn ich da vorbeifahre, steht auch kein Fahrrad drin. Das ist echt cool!

#RVTeutoburgBrackwede
Radfahrerverein für Groß und Klein – bereits seit 1891 können Bielefelder bei RV Teutoburg Brackwede trainieren und gemeinsam auf Touren gehen. In den 125 Jahren Vereinsgeschichte ist so manch einer aus der Puste gekommen oder hat ein Pedal verloren.

Benatzkystraße 18b, 33647 Bielefeld
Telefon 0521.5575110
www.rv-teutoburg.de
verein@rv-teutoburg.de

#GiovanniL. – Gelato de luxe
Eigentümer Giovanni Lasagna hat aufgrund seiner außergewöhnlichen Kreationen bereits verschiedene Preise gewonnen. Zweimal siegt er sogar bei Gelato World Cup.

Arndtstraße 9, 33602 Bielefeld
(weitere Filiale: Rathausstraße 1)
Telefon 0521.98872683
www.giovannil.com
info[at]giovannil-bielefeld.de

#GesamtSchuleQuelle
Goldener Fahrradständer von Mieke Kröger.

Marienfelder Straße 81, 33649 Bielefeld
Telefon 0521.15470
www.gesamtschule-quelle.de

12. Januar 2017
Charlotte Braun

RubrikLeute, Leute
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