Hier geht's zum Ehrenamt

Erst wusste sie gar nicht, wo Bielefeld ist. Sie käme schließlich aus dem Rheinland, erzählt Katrin Brües. Sich an die ostwestfälische Mentalität zu gewöhnen, fiel ihr nicht leicht. Doch spätestens als Leiterin der Freiwilligenagentur merkt sie, dass in den Bielefeldern viel Herz steckt. Und heute? Heute möchte sie aus der Stadt gar nicht mehr weg.

Man findet querbeet durch die Gesellschaft hilfsbereite Persönlichkeiten!

Vom Rheinland in die ostwestfälische Metropole: Was hat Sie ausgerechnet nach Bielefeld verschlagen, Frau Brües?
Ich bin gebürtige Krefelderin und 1995 als Studentin nach Bielefeld gezogen. Das war für mich ein Kulturschock, an den ich mich erst einmal gewöhnen musste. Mittlerweile weiß ich: Die Stadt hat für mich genau die richtige Größe, eine hohe Lebensqualität und den tollen Teutoburger Wald gleich um die Ecke.

Und trotzdem haben Sie Bielefeld zwischenzeitlich wieder verlassen ...
Stimmt. Ich habe schon immer gerne Neues kennengelernt und bin jemand, der viel ausprobiert und sich für Menschen und politische Themen interessiert. Ich habe mich damals ehrenamtlich für die Aidshilfe Bielefeld e. V. eingesetzt und bekam später die Chance, in Braunschweig in einem ähnlichen Feld beruflich tätig zu werden. Dort habe ich aber schnell gemerkt, wie sehr ich Bielefeld vermisse – und bin deshalb gleich wieder zurückgekehrt (lacht)!

Ehrenamt ist ein gutes Stichwort: Was bedeutet es eigentlich, sich ehrenamtlich zu engagieren?
In erster Linie setzt man sich freiwillig und unentgeltlich für andere Menschen oder bestimmte Themen ein. Ehrenamt findet sich in der Bildungshilfe, im Umweltschutz, in der Begleitung älterer Menschen und vielen anderen Bereichen – häufig auch dort, wo man es gar nicht erwartet. Ich kann aus Erfahrung sagen: Der Einsatz hilft anderen und auch einem selbst. Man entdeckt für sich neue Talente und Interessen, lernt neue Freunde kennen, kann sich kreativ entfalten und weiterqualifizieren.

Als Leiterin der Freiwilligenagentur Bielefeld ist diese Erfahrung sicher von Vorteil – wozu braucht die Stadt Ihren Verein?
Viele Menschen möchten gerne aktiv werden und sich freiwillig engagieren, wissen aber vielleicht noch nicht, wo und was genau sie tun können. In der Freiwilligenagentur beraten wir Interessierte und finden mit ihnen Möglichkeiten für ein Engagement in öffentlichen und gemeinnützigen Einrichtungen, die sie wirklich interessieren – und die zu ihnen passen.

Klingt wie eine Partnervermittlung!
Irgendwie stimmt das auch (lacht)! Wir sind das Bindeglied zwischen interessierten Mitbürgern sowie den Einrichtungen, die ehrenamtliche Aktivitäten anbieten. Unsere Aufgabe besteht darin, für beide Seiten das passende Gegenstück zu finden. Und wir tragen eine gewisse Verantwortung, damit alle Seiten am Ende zufrieden sind. Dazu gehört auch, die Vorstellungen vom Ehrenamt richtig einzuordnen …

Zum Beispiel?
Ich hatte mal einen Frührentner zu Besuch, der hilfsbedürftige Menschen oder Familien unterstützend begleiten wollte. Nachdem ich ihn allerdings über die Verantwortung und Aufgaben informiert hatte, stellten wir beide fest, dass ein solches Ehrenamt für ihn und seine Gesundheit zu viel sein könnte. Damit er trotzdem mit Menschen zusammenkommt, hilft er heute in einer Fahrradwerkstatt aus. Das macht ihn glücklich – und mich freut die passende Vermittlung.

Ihr Beruf scheint Ihnen viel zu geben ...
Der Job macht mir unheimlich viel Spaß, weil ich viele spannende Leute treffe. Wenn ich Tag für Tag erlebe, welchen Einsatz viele Bielefelder im Ehrenamt zeigen, kann ich guten Gewissens sagen: Wir sind gut aufgestellt!

Woran machen Sie das fest? Glauben Sie, das Bielefelder Engagement ist größer als anderswo?
Die Bereitschaft für das Ehrenamt hat in den vergangenen Jahren deutschlandweit zugenommen. In Bielefeld findet man querbeet durch die Gesellschaft hilfsbereite Persönlichkeiten – von Jung bis Alt, vom Vollzeitarbeiter bis zum Rentner, vom alteingesessenen Bielefelder bis zu Menschen, die noch nicht lange in Deutschland leben.

In den Jahren 2015 und 2016 erlebte Deutschland eine starke Zuwanderung von geflüchteten Menschen. Knapp 4.700 Menschen sind damals alleine in Bielefeld aufgenommen worden. Wie haben Sie, die Stadt und die Menschen diese Herausforderung gestemmt?
Bereits 2014 ist die Nachfrage nach ehrenamtlichem Engagement in Bielefeld immens gestiegen. Das Ehrenamt hat in den folgenden Jahren noch einmal einen Aufschwung erfahren. Damals habe ich auch die Leitung in der Freiwilligenagentur übernommen, die ebenfalls gewachsen ist. Geflüchtete mit Willkommenspaketen zu versorgen, ihnen beim Erwerb der neuen Sprache und beim Ankommen zu helfen, hat viele Bielefelder motiviert. Sie haben dieses Engagement als sinnhaft erlebt. So konnten wir bis heute mehr als 1.000 Bielefelder vermitteln – das war eine sehr aufregende Zeit!

Wie hat sich diese Entwicklung Ihrer Meinung nach auf das Stadtleben ausgewirkt?
Ich erlebe eine ganz große Vielfalt an Initiativen und Freiwilligen, die zeigen, dass Bielefeld hoch engagiert ist. Das liegt sicher auch an der Reformuniversität der Stadt, die viel bewegt, und der engen Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung. Hier passiert einfach sehr viel, was die Stadt lebendiger und bunter macht.

Wo sehen Sie noch Nachholbedarf – und wie kann die Freiwilligenagentur ihren Beitrag dazu leisten?
Wir realisieren mit der #Schulkramkiste seit 2008 ein wichtiges Projekt, um Grundschulkinder aus finanziell schwachen Familien in Bielefeld mit notwendigen Schulmaterialien auszustatten. Bis heute zählen wir insgesamt 21.750 Ausgaben – das ist auf der einen Seite ein Erfolg, auf der anderen Seite aber auch tragisch, weil es uns allen aufzeigt, wie viele Menschen auf diese Hilfe angewiesen sind.

Das sind eine ganze Menge Farbkästen, Wachsmalstifte und Schulhefte ...
Auf jeden Fall. Wir finanzieren das Projekt ausschließlich über Spenden und benötigen jährlich eine fünfstellige Summe. Wir freuen uns auch immer, wenn uns Unternehmen aus der Region unterstützen – wie zum Beispiel die Volksbank Bielefeld-Gütersloh über Crowdfunding. Die Schulmaterialien werden über sieben Ausgabestellen in verschiedenen Stadtteilen dank der engagierten Unterstützung von Freiwilligen verteilt.

Welche weiteren Angebote, Projekte oder Maßnahmen plant die Freiwilligenagentur für die Zukunft?
Wir möchten das Engagement in Vereinen noch stärker unterstützen, weil diese häufig mit Nachwuchssorgen zu kämpfen haben. Besonders am Herzen liegt mir auch das Projekt #YOUNGagement. Wir kooperieren unter anderem mit der Universität, Fachhochschulen und Bielefelder Einrichtungen wie der Bosse Realschule, um junge Leute für ehrenamtliche Tätigkeiten zu begeistern. Studien zeigen: Wer sich früh im Leben engagiert und gute Erfahrungen macht, wird später wahrscheinlich erneut und mit Freude ehrenamtlich tätig sein.

Freiwilligenagentur, #Schulkramkiste, #YOUNGagement – ganz schön viel Verantwortung für eine Person. Nehmen Sie die Arbeit mit nach Hause oder gönnen Sie sich auch mal eine Pause?
Natürlich berühren mich auch Schicksalsschläge und Lebenssituationen, von denen ich während der Beratungen erfahre und die mich auch daheim noch beschäftigen. In der Regel schalte ich in meiner Freizeit ab, wenn ich Yoga treibe, im Bielefelder Westen unterwegs bin oder im Frauenchor singe. Und ich liebe es, Zeit im Programmkino #Kamera zu verbringen – das ist wirklich traumhaft schön!

#Kamera
Mainstream war gestern, im Filmkunsttheater Kamera flimmert Arthouse über die Leinwand. Gegen den Strom, anspruchsvoll, für Enthusiasten. Frei nach „Wer Kino sagt, meint Kultur!“ lebt das urige Lichtspielhaus sein vielfältiges wie spezielles Programm.
Feilenstraße 2–4, 33602 Bielefeld
 
www.kamera-filmkunst.de


Freiwilligenagentur Bielefeld e. V.

Gegründet von der Arbeitsgemeinschaft Bielefelder Wohlfahrtsverbände, der Stadt Bielefeld und Bielefelder Unternehmen im Jahr 2006 koordiniert die Freiwilligenagentur Bielefeld Angebote und Nachfrage für ehrenamtliches Engagement. Sie ist die Anlaufstelle für interessierte Mitbürger ebenso wie für gemeinnützige Einrichtungen und öffentliche Institutionen, die ein Ehrenamt anbieten möchten.

Beratungszeiten
Mittwochs, 15–17 Uhr, oder nach individueller Terminabsprache
Neumarkt 1, 33602 Bielefeld, Telefon 0521 3299-530
www.freiwilligenagentur-bielefeld.de

#YOUNGagement

Wer zwischen 14 und 23 Jahre alt ist und freiwilliges Engagement ausprobieren möchte, ist bei YOUNGagement an der richtigen Adresse. Die Freiwilligenagentur bietet jungen Leuten besondere Angebote, um ihnen den ersten Schritt ins Ehrenamt zu erleichtern. Zeitumfang: 25 Stunden im Rahmen von drei Monaten – also gerade einmal zwei Stunden pro Woche.
www.youngagement-bielefeld.de

#Schulkramkiste

Mehr zum Projekt Schulkramkiste erfahrt ihr in der Ausstellung „Viele schaffen mehr“, die ihr bis Ende Januar in der Volksbank Bielefeld-Gütersloh am Kesselbrink erleben könnt.

15. Januar 2020
Maximilian Kothe

RubrikLeute, Leute
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