Erfolgreich anders

Nie Nationalspieler gewesen, erst mit 29 Jahren sein Debut in der Eliteklasse des deutschen Fußballs gegeben und mit seinen (13) Vereinen überwiegend zwischen Regionalliga und der zweiten Bundesliga gependelt. Und doch hat der Name Ansgar Brinkmann in der Fußballszene Kultstatus. Fans haben in einer Umfrage des Fußballmagazins „11 Feunde“ den heute 48-jährigen mit dem markanten Blondschopf neben Legenden wie Paul Breitner, Günter Netzer und Mehmet Scholl zu den echten Typen des deutschen Fussballs gewählt. Der Ex-Armine trägt sein Herz auf der Zunge - und es schlägt für Bielefeld.

„Ich wollte, dass die Leute mal sagen: Gut, dass du da warst. Das hat meistens geklappt.“

Wann hast du zum ersten Mal gegen einen Ball getreten?
Ich komme aus einer sportbegeisterten Familie, bin das jüngste Kind von sieben. Meine älteren Geschwister haben mit mir relativ früh Fußball gespielt, mit zwei Jahren hatte ich das erste Mal einen Ball am Fuß. Richtig bewusst den Fußball mitbekommen habe ich mit fünf Jahren, als die WM 74 lief. Ich kann mich noch erinnern, wie ich meine Mama immer gefragt habe, wann Holland spielt … Das fanden die anderen nicht so cool, aber ich wollte immer Johan Cruyff sehen.

Wann war dir klar, dass du vielleicht nicht der neue Cruyff wirst, aber trotzdem mal das Zeug hast, um ein richtig guter Kicker zu werden?
Für mich war früh klar, dass ich Fußballprofi werden will. Ich bin in Vechta aufgewachsen, meine älteren Geschwister haben mich oft ins Weserstadion nach Bremen mitgeschleppt, da liefen Stars wie Rudi Völler rum. Und wie Kinder halt so denken, wollte ich da auch mal stehen. Bei mir hat man dann relativ früh festgestellt, dass ich Talent habe.

Deine Laufbahn hat in etwas mehr als 40 Kilometer Luft­linie von Bielefeld entfernt begonnen und du hast die Jahre danach, nach 18 Vereinswechseln, noch viele weitere Kilometer gerissen …
Ja, ich habe 1987 in Osnabrück als Profi angefangen. Wie es danach weitergegangen ist, kann man nicht planen. Ich habe aber auch nie auf ein Emblem geküsst. Für mich ist es aber immer wichtig gewesen, in der Zeit, in der ich für die Vereine gespielt habe, die Farben zu tragen, ehrliche Arbeit abzuliefern und für den Verein alles zu investieren. Die Leute auf den Tribünen sind dafür sehr sensibel: Wenn du auf dem Platz Leistung bringst, löst das eine Kettenreaktion aus, dann findet dich das ganze Umfeld gut.

… das hast du bei deinen Stationen aber offensichtlich ganz gut hinbekommen – beliebt bist du überall gewesen.
Vielleicht war der eine oder andere Trainer froh, dass ich weg war. Aber viele Vereine haben mich wiedergeholt oder wollten mich wiederholen, so viel verkehrt kann ich also auch nicht gemacht haben. Ich wollte, dass die Leute mal sagen: Gut, dass du da warst. Das hat meistens geklappt.

Du bist etwa 16 Mal umgezogen während deiner Laufbahn. Zwei Jahre hast du für die Arminia gespielt. Bielefeld ist zu einem Heimathafen geworden. Warum?
Die Zeit als Spieler in Bielefeld war sehr emotional für mich. Ich hänge einfach an den Menschen, bin auch lange mit einer Bielefelderin zusammen gewesen, ich habe hier viele Freunde, die mir wichtig sind. Die Leute sind mir wohl­gesonnen, was auf Gegenseitigkeit beruht. Da kommen viele Faktoren zusammen. Ob ich hier gerade wohne oder nicht: Ich bin nie wirklich weg und werde auch bleiben.

Dein Profi-Abschiedsspiel fand am 27. März 2009 auf der Alm statt. Schaust du dir heute die Zweitligaspiele der Arminia auf der Tribüne an?
Oh ja. Ich bin bei fast jedem Spiel dabei, wenn ich die Zeit habe. Und ich werde mit offenen Armen empfangen. Ich bin mit Herz dabei, die Aufholjagd und der Klassenerhalt im letzten Jahr sind schon riesig gewesen. Ich möchte aber bewusst nur ins Stadion, um Fußball zu sehen, aus allen anderen Dingen halte ich mich raus, ich möchte auch keine Ämter bekommen oder Spieler vermitteln. Das mache ich in Bielefeld wie auch in Osnabrück und Münster bewusst so.

Gibt es prägende Ereignisse, die dich immer wieder an deine Arminia-Zeit erinnern lassen?
Da muss ich viel blättern … Ich habe in Bielefeld vor Lachen geweint, war von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Ich habe viel erlebt. Wenn ich alle Erinnerungen aufzählen würde, käme eine Strecke von hier bis Hamburg raus.

Gerne erinnerst du dich an Benno Möhlmann, dem Trainer, unter dem du Anfang der Nullerjahre in Bielefeld gespielt hast – guter Typ, oder?
Ach, mit Benno habe ich viel Spaß gehabt. Der wollte mich schon viel früher haben, noch zu seiner Zeit als Trainer in Hamburg, ich spielte da in Mainz. Heribert Bruchhagen (damaliger HSV-Manager, Anm. d. R.) ist damals eigentlich nach Mainz gefahren, um Jürgen Klopp zu beobachten. Als er zurückgekommen ist, sagte er zu Benno: Klopp – schön und gut. Da rennt aber so ein Blonder rum, den müssen wir holen. Die Mainzer hatten nicht mal meine Telefonnummer, noch wussten sie, wo ich wohne …

Geklappt hat es dann mit Möhlmann aber erst Jahre später.
Ja. Und Benno wusste, wen er sich da holt. Bevor ich gewechselt bin, sagt er zu mir: Ansgar, auch wenn du wieder mal dein Ding machst, ich werde dich schützen. Das hat er auch gemacht, dafür hat er meinen Respekt. Ich habe ihm aber vorher auch schon gesagt, dass es natürlich krachen wird. 

Ich habe 39 Trainer in meiner Karriere gehabt, es hat mit allen gekracht.

Dürfte denn der Spieler Brinkmann bei einem Trainer Brinkmann in der Kabine Fritten essen oder seinen Hund mit zum Training mitbringen? Schoten, die du damals gebracht hast?
Bist du verrückt, auf gar keinen Fall! Ich war immer ein Freigeist und habe Sachen gemacht, die gingen auch zu meiner Zeit nicht. Ich war nicht disziplinierbar, habe alles in Kauf genommen. Trainer konnten gerne ihren Plan haben: Sie konnten ihn aber auch gleich einrahmen und in ihre Küche hängen. Ich hatte meinen eigenen Plan dabei ...

Erfolg ist relativ. Du hast das geschafft, wovon viele Millionen Nachwuchskicker träumen und doch nie erreichen: 20 Jahre als Profifußballer in Bundesligastadien zu spielen. Ärgert es dich trotzdem, dass du manchmal nicht doch mehr auf die Trainerpläne gehört hast, um noch eine Schippe Erfolg mehr draufzulegen?
Na klar, Erfahrungswerte sind natürlich wichtig im Leben. Ich hätte auch gerne mal was gewonnen, 20 Jahre Abstiegskampf waren schon echt hart. Wobei, es war auch nicht alles ganz blind. Ich bin zweimal in die erste Bundesliga aufgestiegen und einmal in die zweite … Und einer von uns beiden hat schon einmal gegen Bayern gewonnen – und das bist nicht du! Trotzdem hätte ich lieber 400 Spiele in der ersten, statt 398 Spiele in der zweiten Bundesliga gemacht. Oder mal für einen Topclub gespielt. Da würde ich heute natürlich vieles anders machen. Nicht ganz so rebellisch sein, um ein paar sportliche Ziele mehr zu erreichen.

Bist du wirklich so ein Feierbiest gewesen, wie man überall nachlesen kann?
Mit Ferndiagnosen aus den Medien muss man vorsichtig sein. Ich habe in allen Vereinen zu den Spielern gehört, die am wenigsten getrunken haben, und bis heute noch nicht eine Zigarette auf Lunge geraucht. Ich habe zwei oder drei Mal im Jahr richtig gefeiert, den Alkohol konnte ich dann halt nicht vertragen – und dann war ich auch schon kurz vor den 20-Uhr-Nachrichten. Hätte ich während meiner Profizeit nur durchgefeiert, hätte ich nicht 20 Jahre auf dem Level spielen können. Aber ich habe auch zu meinem Image einiges beigetragen. Wenn ich zum Beispiel als junger Spieler auf meinen Anrufbeantworter quatsche, dass man mich bis morgens um fünf nur in meiner Stammkneipe erreichen kann, werde ich das nicht mehr los. Das empfinde ich aber jetzt auch nicht als besonders schlimm.

„Wir halten fest: Ich mache einfach, was ich will.“

Wohin gehst du in Bielefeld, wenn du losziehst?
Bielefeld lebt und ich nehme daran auch teil, ob es eine Westend-Party ist oder ein  #CasperKonzert. Am Siggi bin ich gerne, da vermischt sich alles, der Akademiker, der Arbeiter, Kinder fahren dort Rollschuhe, spielen Fußball. Da sitze ich auch manchmal nur in einem Café und beobachte die Leute. Gerne bin ich in der  #Roestwerkstadt, der Besitzer ist ein supersozialer Typ, tut viel für andere Menschen.

Wobei du dich selber auch gerne engagierst, zum Beispiel für das  #KinderhospizBethel
Ich helfe, wo ich kann, wenn Menschen mich brauchen, wenn ich meinen Namen oder ich mich persönlich einsetzen kann, bin ich da. Mir geht es vor allem darum, sich untereinander zu helfen, ohne etwas zurückzuerwarten. Ob im Großen oder im Kleinen. Besonders Kindern muss viel Gutes widerfahren, das ist wichtig für die Zukunft, für unsere Gesellschaft.

Wie sieht dein Leben heute aus?
Ich arbeite dafür, dass ich für mich Zeit habe. Ich investiere in Erlebnisse, ob es Longboard fahren in Dänemark ist, durch die Gegend cruisen, Freunde besuchen oder in Norwegen rumchillen. Wir halten fest: Ich mache einfach,
was ich will.

Heißt, dass du dich ganz aus dem Fußballgeschäft zurückgezogen hast?
Nein! Ohne Fußball geht es nicht. Ich arbeite zum Beispiel für Sky, analysiere Fußballspiele. Zudem mache ich seit Jahren Personalpolitik. Ich bin zwar kein Berater und sammele und vermittle Spieler, das will und wollte ich nie – ich kann Spielern aber mein Netzwerk anbieten, das nicht so schlecht ist. Zum Beispiel habe ich Lukas Podolski zu seinem jetzigen Verein nach Japan gebracht, hier hat er den bestdotiertesten Vertrag seiner Karriere bekommen, 17,6 Millionen Euro netto. Am Ende seiner Karriere. Das ist schon Wahnsinn.



„Irgendwann hatte ich dann den Kaffee auf.“

Ansgar hatte keine Lust mehr auf den Dschungel. Am zehnten Tag hat er ganz Deutschland mit seinem plötzlichen Auszug überrascht. Wir haben dem „weißen Brasilianer“ – fernab unseres Hauptinterviews – drei Zusatzfragen zu seiner Zeit im Dschungel­camp gestellt.

39 Trainer haben sich an dir die Zähne ausgebissen – genau wie die Macher des Dschungelcamps. Bereust du deinen Abgang oder würdest du es wieder so machen?
Ich bereue das nicht und würde es wahrscheinlich wieder so machen. Man hat es ja im Fernsehen verfolgen können. Die haben mich immer und immer wieder versucht zu disziplinieren und irgendwann hatte ich dann den Kaffee auf. Das war ja nicht nur eine Situation, sondern es waren mehrere. Letztlich musste ich mein Wort halten und das würde ich immer wieder so machen!

Welche Reaktionen hast du auf deinen Auszug bekommen?
Ich habe fast ausschließlich positive Reaktionen bekommen. Viele haben mich dafür gelobt, mir und meinen Prinzipien treu geblieben zu sein.

Was war das Schlimmste und Härteste im Camp?
Ach, da kommt eins zum anderen. Ob es das lauwarme Wasser ist, das man ständig abkochen musste und immer rauchig schmeckte, oder die Toilette – die war Körperverletzung – oder das ewige Gewecktwerden oder, oder, oder … Das war eben nicht das Traumschiff, was ich gebucht hatte – trotzdem: Ich würde wieder reingehen! Es war ‘ne geile Zeit!



Schon fast alltägliche Summen im Profifußball, oder?
Der Markt ist einfach außer Kontrolle. Bei solchen Summen fällt mir dann ein, wie ich zu meiner Anfangszeit während meiner Vertragsverhandlungen mit Christian Heidel, damaliger Manager von Mainz 05, um einen Drecks-Nissan feilschen musste. Da waren sogar die elektrischen Fensterheber Verhandlungs­masse. Wäre ich ein Geldmensch gewesen, wäre ich heute durch und müsste nicht mehr arbeiten.

Zum Training zu fahren, den Ball am Fuß haben – das ist es, was ich wollte. Ich habe dann alles vergessen. Mein Auto, mein Konto, meine Freundin. In einem Team Fußball zu spielen, zu trainieren, am Ende der Woche einen Wettkampf zu haben, das kann man nicht kaufen. Dieses Gefühl und diese Erinnerungen nimmt mir auch nie mehr einer weg.

Ich bin aber mit Null in die Karriere gegangen und mit Minus raus. Das musste auch erst mal schaffen. Aber Geld hat mich noch nie angetrieben.

Für Medien und Fans bist du der „weiße Brasilianer“. Zaubert der denn heute noch manchmal auf dem Platz?
Hin und wieder bolze ich ein bisschen. Ohne Sport würde mir aber auch was fehlen. Ich laufe ganz gerne einfach mal geradeaus, um den Kopf freizubekommen. Hätte ich auch nicht gedacht, dass ich das mal freiwillig mache.

 

#CasperKonzert
Klare Sprache, keine Worthülsen, eindringlicher Sound. Mit seinem Nummer-eins-Album „XOXO“ 2011 durch die Decke gegangen, heute einer der erfolgreichsten deutschen Rapper: Benjamin Griffey alias Casper, der Bielefeld als seine Heimat versteht.

www.casperxo.com/langlebedertod

#Kinderhospiz Bethel
Hoffnung und Mut spendet das Kinderhospiz. Ein Ort voller Wärme und Licht, an dem lebensverkürzend erkrankte Kinder zusammen mit ihren Angehörigen und Freunden auf dem oft langen Krankheitsweg begleitet werden.

www.kinderhospiz-bethel.de

#Röstwerkstadt
Kleine Kaffeerösterei, mit großem Anspruch. Filterkaffee lieblos reingeschüttet? Geh mir weg: Hier wird edler Kaffee produziert und den Kunden als Kultgetränk nähergebracht. Alternativ: exklusiver Kakao sowie Chai.

www.dieroestwerkstadt.de

8. Januar 2018
Alberto Alonso, Dennis Salge

RubrikLeute, Leute
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