Die Masche mit der Tasche

Eine kurze Zeitreise, 41 Jahre zurück, ins Jahr 1978. In ein Kinderzimmer, mitten in Bielefeld. Was dort steht, ist eher ungewöhnlich – und ganz sicher kein Kinderspielzeug: eine funktionsfähige Nähmaschine. Wer sie Tagein, Tagaus vor der Nase hat? Der junge Armin Halfar. Später nimmt er die Fäden selbst in die Hand und geht seinen ganz eigenen Weg. Seine Zweifler steckt er heute locker in die Tasche – als führender Hersteller für ein vielfältiges Taschenallerlei.

"Meine Großmutter war Schneiderin und arbeitete als Heimnäherin in Bielefeld."

Herr Halfar, haben Sie sich die Nähmaschine damals freiwillig in Ihr Zimmer gestellt?
Ja, die Technik der Maschine hat mich immer fasziniert. Das liegt in der Familie. Meine Großmutter war Schneiderin und arbeitete als Heimnäherin in Bielefeld. Von ihr habe ich die Nähmaschine geerbt. Ich habe dann erst später selbst angefangen, damit zu arbeiten, vorher war sie „Dekoration“.

Einfach so?
Einfach so. Ich habe mir als Jugendlicher alles selbst beigebracht und konnte im Laufe der Zeit immer komplexere Teile nähen. Das lag mir so sehr, dass ich es zum Geschäft gemacht habe – erst für Freunde und Nachbarn, später für kleinere Kunden in Bielefeld.

Hat sich die Mühe gelohnt? Konnten Sie der ­Bielefelder Textilindustrie den Schneid abkaufen?
Zu Beginn bin ich persönlich in Bielefelder Einzelhandelsgeschäfte gegangen. Mit der einfachen Frage, ob ich etwas für sie nähen kann. Ich hatte kein großes Startkapital. Die Nähmaschine und wenige Hundert Deutsche Mark im Monat für meinen Zivildienst im Rettungsdienst waren alles, was ich hatte. Meine Eltern haben mich natürlich auch unterstützt. Aber mir wurde schnell klar: Ich muss etwas nähen und anfertigen, was es so noch nicht oder zu wenig gibt.

Und dabei dachten Sie an Taschen …
Während meiner Zeit beim Rettungsdienst merkte ich, dass die eingesetzten Notfalltaschen, sagen wir mal, verbesserungswürdig waren. Es mangelte an der praktischen Handhabung und hilfreichen Fächern für medizinische Ausrüstung. Ich erkannte einen potenziellen Markt dank meiner Erfahrungen aus erster Hand, also legte ich los.

Kannten Sie das Risiko? Der Weg in die Selbstständigkeit ist ja bekanntlich kein einfacher.
Natürlich. Mir war bewusst, dass ich meine ersten Taschen gut und schnell verkaufen muss. Ich habe viel Lehrgeld bezahlt, lernte aber schnell aus meinen Fehlern. Später lief das Geschäft so gut, dass ich 1986 ein Kleingewerbe anmelden konnte. Gemeinsam mit meiner­ heutigen Ehefrau Kathrin Stühmeyer-Halfar konnten wir Schritt für Schritt zu einem professionellen Unternehmen heranwachsen.

Dass Sie Ostwestfalen und Ihrer Heimat Bielefeld treu bleiben, stand dabei nie zur Debatte?
Hier gab es viele Lieferanten mit Materiallagern direkt vor Ort und eine lebendige Textilindustrie. Schon damals konnte ich viel von den Schneiderinnen und Schneidern der Stadt lernen. Es gab für mich nie einen Grund, meine Heimat zu verlassen – dafür bietet Bielefeld zu viele Vorteile.

Zum Beispiel?
Flächen und Büroräume waren und sind hier vergleichsweise günstig. Deshalb haben wir unseren Betrieb 1994 in die Bielefelder Innenstadt verlagert, um mehr Kapazitäten zu schaffen. Auch wenn sich unsere Mietkosten damit schlagartig von 250 auf 2.000 DM monatlich erhöht haben. Aber das Risiko war es wert, es hat sich alles sehr positiv entwickelt.

Das kann man wohl sagen: Heute beschäftigen Sie rund 115 Mit­arbeiter und nähen für Kunden mehr als 2000 verschiedene Taschensorten. Behalten Sie da noch den Überblick?
Die Notfalltasche für den Rettungsdienst war nur der Anfang. Mittlerweile vertreiben wir eine Vielzahl unterschiedlicher Taschen und Rucksäcke als erfolgreiche Werbeartikel oder als Spezialtaschen für technische Produkte und individuelle Anforderungen. Wir erstellen die Taschen nicht nur, wir können sie auch nach Belieben bedrucken und individuell gestalten. Da kommt natürlich einiges zusammen. Wir lagern bis zu drei Millionen Taschen in unseren Lagern, auf die wir jederzeit für unsere Kunden zugreifen können.

Sie stecken die Konkurrenz also wortwörtlich in die Tasche?
Der Wettbewerb ist heute ein anderer als vor 30 Jahren. Durch die Globalisierung müssen wir international denken und handeln, über die Grenzen Bielefelds hinaus. Das Internet und die osteuropäischen und asiatischen Länder haben völlig neue Märkte eröffnet, die natürlich unser Geschäft beeinflussen. Zudem sind wir eine „Blaupause“ für andere, die sich im Markt tummeln …

Das gilt sicher auch für Ihre Arbeitsumgebung: Sie haben für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine „New Work Area“ eingeweiht. Was verbirgt sich dahinter?
Wir haben zuletzt einen Co-Working-Space eingerichtet. Dort arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Marketing, Social Media, Grafik, E-Commerce und Produktdesign zusammen. Wir machen damit tolle Erfahrungen und lernen jeden Tag dazu.

Sie zeigen auch großes bürgerschaftliches Engagement, indem Sie sich mit Ihrem Unternehmen für Umwelt, Inklusion am Arbeitsplatz und Flüchtlingshilfe einsetzen. Was motiviert Sie dazu?
Wir sind der Überzeugung, dass wir „anständig“ wirtschaften müssen. Ohne einen Fahrplan zur CSR (Corporate Social Responsibility) geht es unserer Meinung nach heute nicht mehr. Wir haben schon vor 20 Jahren erste Maßnahmen umgesetzt, aber erst in den letzten Jahren begonnen, diese systematisch durchzuführen und messbar zu machen. Wir merken, dass
unseren Kunden dieses Thema immer wichtiger wird – und das ist gut so!

Zusätzlich engagieren Sie sich seit vielen Jahren für die Realschule Heepen. Erzählen Sie uns von diesem Projekt.
Die Heeper Realschule ist eine tolle Schule mit engagierten Lehrerinnen und Lehrern. Wir sind mit unserem Unternehmen auch im Stadtbezirk Heepen, da lag eine Kooperation nahe. Wir bieten Praktika, Berufsfelderkundungen, Betriebsführungen und unterstützen den Kunst- und Werkbereich mit Materialien.

"Wir haben Zuzug, eine tolle Hochschullandschaft und viele namhafte Unternehmen in der Region."

Ist Bielefeld denn aus rein wirtschaftlicher Sicht noch attraktiv?
Bielefeld ist hochattraktiv, ganz ohne Frage. Wir haben Zuzug, eine tolle Hochschullandschaft und viele namhafte Unternehmen in der Region. Wirtschaftliche Attraktivität geht aber immer einher mit Lebensqualität und da hat unsere Stadt auch ganz viel zu bieten.

Wäre Bielefeld ein Kunde – welche Tasche würden Sie ihm anfertigen?
Gute Frage … Wir würden Bielefeld eine große, formschöne und natürliche „Flusslandschaftstasche“ mit Auen und Seitenarmen anfertigen.

Legen Sie heute noch selbst Hand an oder liegen Ihre Aufgaben mittlerweile woanders?
In der Entwicklung und Gestaltung unserer Produkte lege ich tatsächlich noch nahezu täglich Hand an. An der Nähmaschine sitze ich aber nur noch privat und sehr selten. Das letzte, was ich von A bis Z genäht habe, ist schon einige Jahre her. Damals wünschte sich unser Sohn ein Roboterkostüm für Karneval. Das hat ganz gut geklappt!

Und was ist aus der Nähmaschine Ihrer Großmutter geworden?
Die Nähmaschine meiner Oma ist damals nach Russland gereist, über eine Sammlung der Kirchengemeinde meiner Eltern. Aus Platzgründen und durch den technischen Fortschritt haben wir uns im Laufe der Zeit modernere Maschinen angeschafft, sodass ich die Maschine damals leider weggegeben habe. Umso größer war die Freude, als mich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu meinem 50. Geburtstag mit einer originalen Phoenix-Nähmaschine überraschten!

HALFAR System
Wer auf Taschen von Halfar System setzt, trägt immer ein Stück Bielefeld bei sich. Seit über 30 Jahren entwickelt und produziert das ostwestfälische Unternehmen Taschen und Rucksäcke. Das Team um Geschäftsführer Armin Halfar bietet „Starke Taschen“ aus Bielefelder Hand: von Spezialtaschen für den professionellen Bedarf bis hin zu bedruckten Taschen für Werbung und Merchandising.

de.halfar.com

6. September 2019
Maximilian Kothe

RubrikLeute, Leute
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