Bielefeld? ... Wie ein Soundtrack von Dido.

Kaum 18-Jahre alt geworden, verließ Kristin Shey den Hof der Eltern im ländlichen Hoberge und zog mit ihrer Gitarre als Straßenmusikerin durch Kalifornien. Ihren Traum vom Künstlerdasein gab sie auch nach ihrer Rückkehr nach Deutschland nicht auf. 2015 feierte sie ihren bisher gößten Erfolg: Ihr Song »Boomerang« wurde zur offiziellen Hymne des Heineken Rugby Worldcups. Warum Bielefeld ihre Basis ist und es ihr Angst macht, wenn unter ihren Zuschauern Dutt-Träger sind? Wir wollten mehr erfahren: auf einen Espresso mit der 31-Jährigen in ihrer Gaddebaumer Wohnung.

Als ich eben an deiner Haustür klingeln wollte, konnte ich „Shey“ gar nicht finden, wirst du von verrückten Fans verfolgt und musst dich schützen?
Nein, zum Glück nicht, (lacht). Shey ist nur mein Künstlername, eigentlich heiße ich Boge, doch das klang mir damals zu langweilig. Ich dachte damals, wenn ich englische Texte singe, muss ich auch einen englisch klingenden Namen haben.

Ach so, und ich dachte, du hättest eine exotische Herkunft und wollte dich fragen, wie es dazu gekommen ist, dass du in Bielefeld gelandet bist. 
Ich bin in Bielefeld geboren und aufgewachsen, ganz unspektakulär. Meine Eltern haben einen Hof in Hoberge und ich bin auf die Friedrich von Bodelschwingh-Schule in Bethel gegangen.

„Als Kind wollte ich Bundeskanzlerin werden.“

Wolltest du als Kind schon Sängerin werden?
Nein, seit meiner Jugend. Als Kind wollte ich Bundeskanzlerin werden.

Im Ernst?
Ja, ich habe auch immer Briefe an Helmut Kohl geschrieben, mit so Sachen wie „Bitte denken Sie an den Umweltschutz und die Tiere“. Es kamen dann sogar Antworten, zwar nicht von ihm selbst, aber immerhin von seiner Sekretärin.

Und wann startete deine Gesangskarriere?
Ich habe schon als Kind gerne gesungen, mit 13 lernte ich Gitarre. Als ich endlich 18 war, habe ich sie mir eingepackt und bin für drei Monate durch Kalifornien gereist. Finanziert habe ich mir das durch Auftritte.

Wow, hattest du keine Angst?
Nein, früher war ich völlig angstbefreit, irgendwie toll. Ich habe das Gefühl, je älter man wird, desto ängstlicher wird man. Man fängt immer an, alles abzuwägen. Das war früher anders. 

Wieso hat es dich ausgerechnet in die USA gezogen?
Ich hatte eine Großtante in San Francisco, die war arschcool, die wollte ich schon immer besuchen. Und ich hatte eine romantische Vorstellung von der ganzen Gegend dort.

War es danach schwierig für dich, wieder nach Bielefeld zurückzukehren?
Damals wäre ich gerne dort geblieben. Doch ich mag das Übertriebene der Amis nicht, zum Glück habe ich auch Ausnahmen kennengelernt. Ich mag die Musik und die Landschaft der USA, bei der aktuellen politischen Situation bin ich aber froh, nicht dort zu leben.

Was hält dich in deiner Heimatstadt?
Bielefeld ist meine Base. Ich mag das Grün, ich kann mit meinem Hund Woody direkt vor der Tür in den Wald gehen, trotzdem bin ich schnell in der Stadt. Und ich mag, dass hier nicht dauernd Halligalli ist, das würde mich zu sehr ablenken. Würde ich in Berlin leben, gäbe es da für mich zu viele Eyecatcher. Ich würde den ganzen Tag Leute anschauen und müsste mich immerzu ermahnen: „Kristin, hör auf zu starren!“ (lacht) Außerdem ist von Bielefeld aus alles in Deutschland gut zu erreichen, das ist für meine Touren ideal, zudem lebt meine Familie hier.

Gibt es auch Nachbesserungsbedarf?
Es könnte schon ein paar mehr coole Clubs und Locations für Auftritte geben.

Wenn Bielefeld einen Soundtrack hätte, welcher wäre das?
Oh Gott, puh, das ist eine schwierige Frage. Etwas von Dido vielleicht. Nicht untief, aber trotzdem seicht.

Wann kommen dir die besten Textideen?
Ich brauche regelmäßig „Drömmelzeit“, das ist für mich die beste Inspiration. Auch beim Spazierengehen, auf Autofahrten, beim Putzen oder Kochen kommen mir Ideen. Aber auch im Übermut, immer, wenn ich mich mehr als normal gut oder schlecht fühle, also so ein bisschen „drüber“. Mal schreibe ich einen Song in anderthalb Stunden, mal brauche ich mehrere Tage.

Ein Künstlerdasein gilt als hartes Brot, kannst du dich damit finanzieren?
Ja, das geht, wenn man nicht zu hohe Ansprüche hat. Ich bin ja breit aufgestellt. Ich gebe Gesangsunterricht, es gibt Kristin Shey solo, mein Jazzquartett und das Kristin Shey Trio. Mit den beiden Jungs nehme ich übrigens gerade unser erstes komplettes Album auf. Auf #gofundme läuft gerade eine Crowdfunding-Kampagne, damit wir es finanzieren können.

Bist du vor einem Konzert oft aufgeregt? 
Zum Glück kommt das selten vor. Das letzte Mal war bei der #Filmhausparty in Bielefeld.

Wie kommt’s, müsste das nicht ein Heimspiel für dich gewesen sein?
Da waren so viele Leute und vor allem die Coolen. So Hipster, diese mit Bart und Dutt (lacht). Jeder möchte ja irgendwie auch cool sein, und dass die da alle standen, hat mich nervös gemacht.

Bekommst du viel positives Feedback oder sogar Liebesbriefe?
Briefe nicht, aber Liebesmails gab es schon mal. Das Schönste ist für mich, wenn mir jemand nach einem Auftritt sagt, dass er Tränen in den Augen oder eine Gänsehaut hatte.

Hast du ein Idol? 
Merrill Garbus von Tune-Yards, die ist eine megakrasse Künstlerin, die mich sehr inspiriert. Sie ist sehr originell und mutig in ihrer Musik. Sie macht Pop, Jazz und Weltmusik. Und sie ist eine starke Frau. (Shey springt plötzlich auf und ruft: „Einen Moment, ich muss gerade mal die Platte umdrehen!“)

Cool, du hast einen Plattenspieler?!
Ich liebe Schallplatten. Es ist schade, dass heute kaum noch jemand ein ganzes Album durchhört, dabei hat sich der Künstler bei der Zusammenstellung ja eigentlich etwas gedacht. Viele lassen sich nur noch von Musik berieseln, anstatt wirklich zuzuhören.

Wie sieht es dann mit Radio aus, das hören ja viele auch eher, um sich berieseln zu lassen.
Puh, also Radio mag ich erst abends spät hören, dann kommt auf manchen Sendern gute Musik, nicht dieser Charts-Kram, der sich den ganzen Tag wiederholt. Und ich höre gerne WDR 5, alles andere ist so anspruchslos.

Gibt es etwas, was du gerne mal machen würdest, was man vielleicht nicht unbedingt von einer blonden, hübschen jungen Frau wie dir erwartet?
Hmm … (überlegt). Ich würde gerne mal ein Autorennen fahren, so Formel-1-mäßig. Und ich würde gerne schießen. Ich war auch kürzlich mit meinem Bruder auf der #RifleRanch in Borgholzhausenund habe mit einem Großkaliber geschossen, das hat richtig viel Spaß gemacht. Aber ganz wichtig: Von meiner Grundeinstellung her bin ich Pazifistin. Also ich bin gegen Gewalt.

#RifleRanch
Ins Schwarze treffen. Eine halbe Stunde von Bielefeld entfernt, kann jedermann sein Können an der Knarre testen. Natürlich nur unter fachkundiger Anleitung.

Nienkamp 14, 33829 Borgholzhausen
›  www.rifleranch.de

#Filmhausparty
Das ist Kult Hier muss man mal gewesen sein, denn sie ist eine der legendärsten Partys in Bielefeld, mit DJs, Livemusik, Projektionen und ungewöhnlichen Willkommensaktionen. Dresscode: von alternativ bis freakig.

August-Bebel-Straße 94, 33602 Bielefeld
› www.filmhaus-bielefeld.de

#www.gofundme.com
Crowdfunding-Kampagne

5. Februar 2016
Rebecca Schirge

RubrikLeute, Leute
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