Achtung, WILD

Willst Du mehr über heimische Tiere wissen, komm doch mal nach Olderdissen. Oder so ähnlich: Der Heimat-Tierpark Olderdissen ist mit seinen 450 tierischen Bewohnern eine der Freizeitattraktionen in Bielefeld, etwa eine Million Besucher schauen hier jedes Jahr rein. Dass hier nicht die Mäuse auf den Tischen tanzen, dafür sorgt der leitende Tierpflegemeister Markus Hinker mit seiner Elfköpfigen Mannschaft.

Herr Hinker – den ganzen Tag Kaninchen streicheln, Braunbären beim Rumtollen zuschauen und Fischötterchen mit Fischhäppchen füttern. So in etwa sieht der Alltag eines Tierpflegers aus, nicht wahr?
Markus Hinker: Ja, diesen Eindruck könnte man bekommen, wenn man sich die vielen Zoo-Sendungen im Fernsehen anschaut. Eine einzige Idylle, in der man sich rund um die Uhr um seinen Lieblingspinguin kümmert (schmunzelt).

Klar sollte aber auch sein, dass wir in der Anlage keine Menschen mehr sind.

Und so in echt?
Diese Bilder zeigen natürlich nur die Highlights. Im realen Berufsleben machen Tierpfleger zu 90 Prozent Stallungen und Gehege sauber oder richten Futter her und lagern es ein. Immer mehr steht aber halt auch die Öffentlichkeitsarbeit im Vordergrund, dazu gehören zum Beispiel Schaufütterungen. Wir Tierpfleger suchen im Gegensatz zu früher viel mehr die Interaktion mit den Besuchern, erklären und versuchen unseren Bildungsauftrag zu erfüllen – so als kleine Weltverbesserer.

Wie tierlieb muss man als Tierpfleger denn sein?
Natürlich mögen wir unsere Tiere und arbeiten gerne mit ihnen. Das Wohl der Tiere steht immer im Vordergrund. Dazu gehört, dass die Stallungen immer schön sauber gehalten werden – mit dem Wissen, dass am nächsten Tag wieder alles verkotet ist. Wir müssen aber auch viel über Tieranatomie wissen, um Tiere besser zu verstehen. Unter anderem, um Krankheitsbilder frühzeitig zu erkennen.

Sie mutieren im Käfig zum Tier?
Optisch hoffentlich nicht (lacht). In meiner Zeit im Münsteraner Zoo bin ich aber zum Beispiel als Elefantenpfleger der Oberelefant gewesen. Dazu gehörte auch immer ein artspezifisches ruppiges Verhalten, sonst hätte ich ein Problem bekommen, wäre nicht als Alphatier akzeptiert worden. Die Rangstreitigkeiten hätte ich verloren ... Ein anderer Aspekt ist auch, dass unsere Tiere nicht alle Pflanzenfresser sind, die den ganzen Tag Möhren und Blättchen futtern, wir haben auch eine Reihe Raubtiere. Heißt: Es kommt vor, dass wir auch mal Kaninchen, Wildschweine oder Schafe schlachten – wofür wir ausgebildet sind.

Und das geht Ihnen leicht von der Hand?
Ich muss mich emotional davon befreien. Wenn ich ein Kaninchen schlachte, darf ich das Tier nicht vorher zehn Minuten streicheln. Wir selbst halten bei uns zu Hause unter anderem Kaninchen und Laufenten, die könnte ich nicht schlachten. Ich mache mir aber auch bewusst: Wenn der Luchs das Kaninchen nicht bekommt, muss er verhungern.

Würde es nicht auch ein Steak aus der Tiefkühltruhe tun?
Das könnten wir machen, es würde aber nicht zum artgerechten Fressverhalten unserer Raubtiere passen. Luchse oder Wölfe reißen immer zuerst die Bauchdecke ihrer Beute auf, um an die nährstoffreichen Innereien zu gelangen. Würden wir den Tieren nur reines Muskelfleisch geben, müssten wir diese fehlenden, wichtigen Nährstoffe auf anderem Wege nachreichen. Das wollen wir nicht. Bevor wir aber Schafe, Wildschweine oder auch mal ein verunfalltes Reh ins Gehege legen, warnen wir unsere Besucher und erklären ihnen den Grund. Wer es sich also nicht ansehen möchte, hat immer die Möglichkeit wegzugehen. Nicht vergessen sollten wir aber, dass auch ein Steak aus der Tiefkühltruhe mal Fell, Augen und Ohren hatte ...

Wie sehr nimmt es Sie denn mit, wenn Ihre Tiere eines natürlichen Todes sterben?
Wir haben jeden Tag Kontakt zu unseren Tieren, beobachten sie, kennen sie gut, die meisten mit Namen. Dass dabei eine innige Beziehung aufgebaut wird, ist normal. Jeder, der schon mal sein Haustier verloren hat, weiß, wie man sich fühlt, wenn das Tier verstirbt.

Dann müssten es Sie und Ihre Kollegen ganz schön mitgenommen haben, als Ihr Park im Fokus öffentlicher Kritik stand: 2015 ist der letzte Wolf aus einem zeitweise sieben Tiere umfassenden Rudel überraschend gestorben.
Keine schöne Phase, weder für die verstorbenen Wölfe, noch für uns Verantwortliche. Das öffentliche Urteil stand fest – wir sind alle doof und haben keine Ahnung. Das war für uns Tierpfleger schlimm.

»Es gehört zu unseren Aufgaben, auch mit Menschen umgehen zu können und ihnen wichtige Inhalte über die heimische Tier- welt zu vermitteln.«

Sie fühlen sich ungerecht behandelt. Gibt es denn eine einfache Erklärung für das Wolfssterben?
Ich könnte Ihnen zu jedem einzelnen Todesfall die Hintergrundgeschichte erzählen. Auf jeden Fall ist es alles wesentlich komplexer als die verkürzte Darstellung in den Medien.

Vielleicht eine Olderdisser Kurzversion?
2008 ist das Wolfsgehege auf 6.000 Quadratmeter vergrößert worden, zu unseren beiden Altwölfen kamen 2008 fünf junge Weibchen aus einem Tierpark in Stendal nach Olderdissen. Da es nicht einfach ist, Wölfe in andere Zoos zu vermitteln, haben wir uns damals entschlossen, eine gleichgeschlechtliche Gruppe zu halten, um keinen Nachwuchs zu bekommen. Als die beiden Altwölfe aufgrund ihres Alters und von Krankheiten starben, kam es vor allem während der Läufigkeit zu Rangstreitigkeiten zwischen den übrig gebliebenen Fähen. Dazwischen gab es aber auch immer Phasen, in denen es rundlief. Wir haben uns damals zusammen mit Tierärzten und Biologen viele Gedanken gemacht, tagtäglich mit den Wölfen zu tun gehabt und natürlich auch die Rangkämpfe beobachtet. Es war eine kritische, aber nicht unmögliche Konstellation. Letztendlich gab es Todesfälle, teilweise infolge von Beißereien, bei denen es um den Rang im Rudel ging, teilweise während einer OP infolge einer Narkose. Es lag an einer Verquickung unglücklicher, manchmal erklärbarer, manchmal unerklärbarer Umstände. Übrigens sind auch nicht alle verstorben – einen Wolf haben wir an den Biotopwildpark Anholter Schweiz abgegeben.

Genug über tote Tiere gesprochen, kommen wir zu denen, die noch leben – ein neues Wolfspärchen erobert seit 2015 die Besucherherzen ... Mit welchem Gefühl gehen Sie die neue Wolfsmission an?
Wir verfolgen nun eine andere Strategie, in der unsere Wölfe ein eigenes Rudel bilden sollen, wie es in freier Natur auch der Fall wäre. Rieke, eine Fähe aus Osnabrück, und Aik, ein Rüde aus Gotha, haben sich gut eingelebt. Wir sind guter Dinge und schauen mal, ob sie zur Nachzucht schreiten. Gerade jetzt, in Zeiten, in denen sich der Wolf in Deutschland wieder in freier Natur ansiedelt, sehen wir es als unseren Bildungsauftrag an, aufzuklären, für den Wolf zu kämpfen und dem Menschen die Angst vor dem Tier zu nehmen.

Haben Sie in Ihrem Park ein Lieblingstier?
Es gibt Tiere, die beim Besucher sehr gut ankommen – zum Beispiel unsere schottischen Hochlandrinder, die ohne Frage knuffig aussehen. Oder unser neu geborenes Ponyfohlen Thor und seine Mutter Uschi, die ich bei meiner morgendlichen Runde mit einem freudigen Guten-Morgen-Gewieher begrüße. Ich finde aber, dass unsere Ratten, die für viele Besucher nicht wirklich schön sind und eher nicht so hoch in der Gunst stehen, es verdient haben, lieb gehabt zu werden.

450 Tiere leben im Park. Davon eines herauszustellen, fände ich gemein.

Haben Sie sich für Ihren Beruf eigentlich entschieden, weil Sie Tiere besonders gerne mögen oder weil Sie mit Menschen besonders wenig Kontakt haben wollten?
Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, habe also von klein auf mit Tieren zu tun gehabt. Bei einem Praktikum im Zoo Münster hat mir die Arbeit so einen Spaß gemacht, dass ich dabeigeblieben bin. Menschenscheu sollte aber keiner von uns hier sein – immerhin kommen jedes Jahr mehr als eine Million Besucher in den Park. Es gehört zu unseren Aufgaben, auch mit Menschen umgehen zu können und ihnen wichtige Inhalte über die heimische Tierwelt zu vermitteln.

Muss es denn immer der Tierpark Olderdissen sein, oder können Sie noch andere Orte in und um Bielefeld empfehlen, die einem den Naturkick geben?
Naheliegend ist der Teutoburger Wald, der von Wanderwegen durchzogen und super dazu geeignet ist, um die Naturwelt kennenzulernen. Ganz schön finde ich auch den #BotanischenGarten. Ein richtig guter Familientipp ist das #BielefelderBauernhausmuseum mit angrenzender Ochsenheide. Ein Eldorado für Pflanzen.

Floramäßig sieht es in unseren Breitengraden im Winter ja eher mau aus. Wie machen Sie das mit Ihren Tieren – werden die Stallungen jetzt mit Heizpilzen ausgestattet?
Wie unser Name schon aussagt, sind wir ein „Heimat-Tierpark“ – unsere Bewohner stammen also vorrangig aus der heimischen Tierwelt, aus unserer Klimaregion, und haben während der kalten Jahreszeit keine Probleme. Es gibt nur wenige Tiere, die in den Winterschlaf gehen, zum Beispiel unsere Murmeltiere. Denen kann man nur einen guten Schlaf wünschen, die sind dann in ihren selbst gegrabenen Höhlen für ein halbes Jahr weg.

Zum Abschluss eine Frage von meinem fünfjährigen Sohn, die ihn wirklich sehr beschäftigt: Muffelt Muffelwild wirklich so viel rum?
„Muffelwild“ kommt von „Mufflon“ (lacht). Ich kann Ihren Sohn beruhigen – die Tiere sind von ihrem Wesen her recht ausgeglichen. Sagen Sie ihm, dass ich Hinker heiße und trotzdem nicht hinke.



Markus Hinker
Ein Nordrhein-Westfale in Ostwestfalen: Aufgewachsen im Kreis Steinfurt, ist Tierpflegemeister Markus Hinker in seinen mehr als 30 Berufsjahren herumgekommen: Nach einer Ausbildung im Münsteraner Zoo kümmerte er sich dort einige Jahre um die Elefanten, um dann tierisch abzuspecken – er wechselte in den Kölner Zoo ins Insektarium. Nach weiteren Stationen in Saarbrücken und Nordhorn begann der 49-Jährige und zweifacher Familienvater 2007 als Haupttierpfleger in Olderdissen.

#BielefelderBauernhausmuseum
Wie die Menschen auf dem Land um 1850 gelebt haben? Das zeigt das Bielefelder Bauernhausmuseum in Gadderbaum.

Dornberger Straße 82, 33619 Bielefeld,
Telefon 0521.5218550
www.bielefelder-bauernhausmuseum.de

#BotanischerGarten
Hier blühen und wachsen 2.500 Pflanzenarten. Besondere Highlights: Rhododendren- und Azaleensammlung, Steingarten, Alpinum, Arznei- und Gewürzgarten, Heidegarten und Buchenwaldflora. Rund um die Uhr geöffnet!

Botanischer Garten, Am Kahlenberg,
Telefon 0521.513178
www.bielefeld.de/de/un/boga/

12. Februar 2016
Alberto Alonso Malo

RubrikLeute, Leute